Inhaltsverzeichnis
Teil A – Grundlagen
Einleitung
1 Menschenkunde meditieren
Eine Zentralmethode der Pädagogik Rudolf Steiners
Wegbeschreibung
2 Erste Schritte
Fundamentale Sätze der Menschenkunde lesen und täglich
über sie nachdenken
Kontext
3 Pädagogischer Komponist werden
Beispiel: Lösung eines Mobbing-Problems
Wegbeschreibung
4 Steiners Ausbildungskurs in «Enthusiasmus» (1)
Die Angaben Steiners zur Verlebendigung des Denkens oder: Von Fröschen und vom Teilen durch Null
Wegbeschreibung
5 Lebendiges und Totes im Unterricht
Ein Meditationsbeispiel zum 3. Vortrag der
«Allgemeinen Menschenkunde»
Wegbeschreibung
6 Rubicon
Eine von Prof. Dr. med. David Martin geführte Meditation .
Kontext
7 Erziehung zur Selbständigkeit
Ein Hinweis Rudolf Steiners zur Frage: Wie wird einer großen Klasse dem einzelnen Kind gerecht?
Wegbeschreibung
8 Die Panazee-Übung (1)
Rudolf Steiner über ein pädagogisches Allheilmittel
Wegbeschreibung
9 Die Panazee-Übung (2)
Die Bedeutung der musikalischen und sprachlichen in der Erziehung
Wegbeschreibung
10 Die Panazee-Übung (3)
Eine Schutz-Wirkung der Eurythmie
Kontext
11 Formen der Meditation
Gedanken, Gefühle, Worte, Bilder, plastische Übungen, eurythmische Übungen, Klänge, Mantren
Wegbeschreibung
12 Stufen der Meditation
Zurückdenken, im Willen erwärmen, verweilendes Denken, geschütztes Fühlen, sich selbst erfassendes Denken
Kontext
13 Steiners Ausbildungskurs in Enthusiasmus (2)
Wissen, warum und was machbar ist und was nicht.
Eine Ortsbestimmung
Kontext
14 Über das Schweigen
Zur Balance zwischen Austausch und Verschwiegenheit
Kontext
15 Über die Gemeinschaft
Ein Plädoyer gegen Vorwürfe
Teil B – Vertiefungen
Wegbeschreibung im Kontext
16 Die erste Lehrer-Meditation
Sich mit dem Ziel verbinden
Wegbeschreibung im Kontext
17 Die zweite Lehrer-Meditation
Weltenhelle im Erdendunkel
Wegbeschreibung im Kontext
18 Der Grundsteinspruch von 1921
Damals und heute
Wegbeschreibung im Kontext
19 Die Schalen-Imagination von 1919
Pädagogik im Angesicht der Engel
Wegbeschreibung
20 Integration in den Alltag
Auswege aus der Überlastung
Kontext
21 Esoterische Stunden für Lehrer (1)
Die religiöse Dimension der Erziehung
Wegbeschreibung
22 Esoterische Stunden für Lehrer (2)
Die «Sonntagshandlung»
Wegbeschreibung
23 Esoterische Stunden für Lehrer (3)
Die «Jugendfeier»
Wegbeschreibung
24 Jörgen Smits Entengeschichte
Anstelle eines Nachworts
Teil C – Anhang
Wegbeschreibung
Rhythmische Zusammenfassungen
der «Allgemeinen Menschenkunde»
Anregungen für das tägliche «Zurückdenken»
Literaturverzeichnis
Menschenkunde studieren
Eine Danksagung
Anmerkungen
Leseprobe
Aus der Einleitung:
Warum Menschenkunde meditieren? Und: Inwiefern handelt es sich dabei um eine «Zentralmethode der Waldorfpädago- gik»? Sichtet man das pädagogische Gesamtwerk Steiners, so werden die Gründe deutlich: Steiner unterschied eine «Päda- gogik unter Berücksichtigung von Menschenkunde» von einer «Pädagogik aus Menschenkunde». Worin besteht der Unter- schied?
Jede moderne Pädagogik der Welt berücksichtigt an der ei- nen oder anderen Stelle menschenkundliche Gesichtspunkte. Zur Zeit sind es vor allem Ergebnisse der Hirnforschung, die man in der Pädagogik berücksichtigen will. «Hirngerechtes Lernen» heißen entsprechende Kurse. Auch etliche Metho- den der Waldorfschulen berücksichtigen menschenkundliche Sachverhalte: Das Prinzip des Epochenunterrichtes geht zu- rück auf Erkenntnisse über die Prozesse des Vergessens und Erinnerns. Der Lehrplan berücksichtigt wichtige Wachs- tumsschübe und die damit verbundenen Hormon-Ausschüt- tungen und seelisch-geistigen Entwicklungsschritte. De facto berücksichtigen sämtliche Einrichtungen der sogenannten
«Big 12» der Waldorfpädagogik menschenkundliche Sach- verhalte und das Gleiche gilt für die didaktischen Methoden oder die Methoden zur Harmonisierung oder Stabilisierung der Konstitution der Kinder und Jugendlichen.
Das pädagogische Arbeiten aus Menschenkunde war für Steiner noch etwas anderes, denn «was der Erzieher tut», so Steiner in einem 1919 veröffentlichten Aufsatz, das sollte nur «in ge- ringem Maße davon abhängen, was in ihm durch allgemeine Nor- men einer abstrakten Pädagogik angeregt ist.» (24, 86) Wenn nicht neue Prinzipien und Leitlinien, was dann? Steiners Antwort ist eine Herausforderung sondergleichen:
Der Erzieher «muss (...) in jedem Augenblicke seines Wirkens aus lebendiger Erkenntnis des werdenden Menschen heraus neu geboren sein.» (24,86)
Als Erzieher in jeder pädagogischen Situation aus Erkenntnis des werdenden Menschen neu geboren werden? Diese Perspektive ist im wörtlichen Sinn «un-erhört»: eine derartige Idee gab bisher noch nie. Und verstörend radikal heißt es weiter:
«Wirklich fruchttragend werden aber nur solche Lehrer in der hier angedeuteten Art erziehen und unterrichten können, die durch ein- dringliche Menschenerkenntnis den Zusammenhang durchschauen, der besteht zwischen ihrer Methode und den in einem bestimmten Lebensabschnitt (des Kindes) sich offenbarenden Entwicklungskräf- ten.» (24, 90)
Was mit diesem Satz gesagt ist, wirkt verschreckend, wenn nicht sogar schockierend. Denn das Gesagte heißt ja im Um-
kehrschluss: Alle diejenigen Lehrerinnen und Lehrer, die nicht aus Menschenerkenntnis arbeiten, werden nicht «wirklich fruchttragend» erziehen und unterrichten können. – Wirklich? Meinte Steiner das so, wie es formuliert ist? Es scheint so, denn unmittelbar anschließend schreibt er:
«Der ist nicht wirklicher Lehrer und Erzieher, der Pädagogik sich angeeignet hat als Wissenschaft von der Kindesbehandlung, sondern derjenige, in dem der Pädagoge erwacht ist durch Menschener- kenntnis.» (24, 90; Hervorhebung von Steiner)
Was für ein Anspruch! Wie soll man dem je gerecht werden? Kann man diesem Anspruch überhaupt gerecht werden? Auf den ersten Blick scheint das schwer vorstellbar, denn wie soll ich als Lehrerin oder als Lehrer im anstrengenden Schulalltag das leisten? Ich kann schließlich nicht warten, bis in mir der Pädagoge erwacht ist durch Menschenerkenntnis. Die Kinder sind jetzt da. Mit anderen Worten: Dass sich das Ideal schnell und flächendeckend umsetzen ließe, dürfte Steiner wohl kaum erwartet haben, denn weltfremd war Steiner nie. Die Frage ist deshalb umso mehr, wie das Ideal in die Welt kommt. Steiner entschied sich für einen ganz bestimmten Weg: Er erzählte den designierten Lehrerinnen und Lehrern der ers- ten Waldorfschule alles Wesentliche, was er selbst im Verlauf von 40 Jahren an der Kindesentwicklung beobachtet, erkannt und mit der etablierten Wissenschaft abgeglichen hatte. Das war in der Summe enorm viel und so waren die Lehrerinnen und Lehrer einerseits begeistert, aber andererseits auch über- wältigt von der Fülle der mitgeteilten Erkenntnisse. Deshalb sagte ihnen Rudolf Steiner sinngemäß: ‹Lebt euch in diese Beobachtungen und Erkenntnisse immer mehr ein. Versucht, sie mit euren Möglichkeiten so gut ihr könnt nachzuvollzie- hen. Aber lebt euch so tief in sie ein, dass ihr an die Schwelle kommt, wo euch die Einsichten über das, was im Kind pas- siert, so befeuern und begeistern, dass ihr den ganz neuen Impuls spürt, aus diesen Erkenntnissen heraus als Lehrer tätig werden zu wollen. Wenn ihr an diese Schwelle kommt, dann werdet ihr als Lehrer sozusagen neu geboren.›
In der Konsequenz heißt das: In jedem Lehrer gibt es zwei Lehrer. Der eine ist – symbolisch gesprochen – der alte Leh- rer oder der erste Lehrer. Er besteht aus den bisher erwor- benen Fähigkeiten, mitgebrachten Unzulänglichkeiten und wertvollen Talenten. Man sollte ihn auf keinen Fall gering schätzen. Im Gegenteil: Alle Schulen, in denen Steiners Pä- dagogik eine Rolle spielt, leben geradezu von der Fülle der Begabungen, der Begeisterung, der oft enormen Hingabe und dem Engagement, mit denen die Lehrerinnen und Leh- rer mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten. Ohne die- sen «ersten» Lehrer gäbe es diese Schulen nicht. Der «erste Lehrer» ist wie der Boden, auf dem alles wachsen kann. Der «zweite» und neue Lehrer ist hingegen erst keimhaft veran- lagt. Es ist der Keim zum Unterrichten und Erziehen aus Menschenerkenntnis – und das heißt: Menschenkunde nicht etwa als Zugabe und nicht nur als mächtiges Werkzeug, son- dern als der Quell-Ort und als zentrale Triebfeder jeder pä- dagogischen Tätigkeit. Wie weit sich dieser Keim entwickelt, ist abhängig davon, wie sehr man ihn pflegt. Wie pflegt man ihn? Und vor allem: Wie pflegt man ihn im anstrengenden Alltag eines oft bis an die Grenzen und zuweilen auch über die Grenzen hinaus belastenden Lehrerberufs?
(...)
Ich werde immer wieder gefragt: «Wie macht man das? Wie meditiert man Menschenkunde?»
Wie man das macht, weiß ich nicht. Ich kann nur davon erzählen, wie ich es im oft wirklich anstrengenden Alltag versucht habe. Deshalb ist dieses Buch auch kein klassischer Ratgeber. Ich kann und will mit ihm nicht als «Lehrer» auftreten und schon gar nicht als «spiritueller Lehrer». Ich verstehe mich selbst wie einen Kollegen, der meditative Wanderungen in die Landschaften der Menschenkunde unternommen hat, der versucht hat, diese Wanderungen in seinen Schulalltag zu integrieren, und der seinen Kolleginnen und Kollegen rückblickend davon erzählt. Deshalb ist dieses Buch auch nicht eine systematische Anleitung, die alle Aspekte umfasst, sondern es heißt im Untertitel «Eine Wegbeschreibung». Ich berichte, um vor allem die jüngere Generation der Lehrerinnen und Lehrer zu ermutigen, sich selbst auf den Weg zu begeben, damit sie eine Zentralmethode der neuen Pädagogik für sich entdecken können, falls sie dies möchten.
Vor diesem Hintergrund ist das Buch so aufgebaut, dass sich erzählende Kapitel und Sachkapitel in lockerer Folge abwechseln. In den erzählenden Kapiteln berichte ich von verschiedenen Typen der Meditation, die ich kennengelernt habe (andere Menschen haben andere kennengelernt), und ich berichte von den im Schwierigkeitsgrad ansteigenden Ni- veaus. Diese Kapitel schildern das «WIE». Sie sind jeweils zu- sätzlich mit «Wegbeschreibung» überschrieben. Die Sachkapitel enthalten zum einen historische Informationen und zum an- deren Einordnungen, Ergänzungen, Relativierungen. Diese Kapitel kreisen um das «WARUM». Sie sind jeweils durch den Zusatz «Kontext» gekennzeichnet. Zu diesem Kontext gehören auch die sogenannten «Lehrer-Meditationen» und weitere meditativ zu erarbeitende Texte, die Rudolf Steiner dem ersten Kollegium anvertraut hat. Des Weiteren gehört dazu eine wegweisende Zukunftsperspektive für die Pädagogik, von der Rudolf Steiner nur skizzenhaft gesprochen hat und die zunächst sehr befremdlich klingt: In Zukunft könne man Pädagogik aus einer ganz bestimmten inneren Einstellung heraus gestalten, nämlich aus der Gesinnung, im Kind dessen Göttliches zu sehen, zu pflegen und zu schützen. In dem Maße, in dem dies in der Zukunft zum tragenden Impuls des pädagogischen Tuns werde, in dem Maße könne pädagogisches Tun auch zu einer Art «säkularem und zugleich spirituellem Gottesdienst» werden. – So befremdlich diese Perspektive auf den ersten Eindruck auch klingen mag, sie kann doch als ein wichtiges Korrektiv erlebt und praktiziert werden angesichts einer Gesellschaft, die in unreflektierter und fast atavistischer Weise dem Gott des Geldes huldigt. Die Perspektive auf einen «Gottesdienst am Kind statt am Geld» ist deshalb so abwegig nicht. Steiner hielt es zumindest für möglich, die damit verbundene innere Einstellung im Alltag der Pädagogik in die Tat umzusetzen. (...)
Wie sich dies zum Meditieren von Menschenkunde verhält, dazu siehe Kapitel 21 bis 23. Was ich aber den Leserinnen und Lesern im Hinblick auf die benannte Perspektive schon jetzt wünsche, ist eine größtmögliche wechselseitige Toleranz zwischen denjenigen, die dieses Ideal anstreben, und denjenigen, die mit der skizzierten Perspektive wenig anfangen können.
Am Ende des Buches füge ich im Anhang 78 kleine men- schenkundliche Meditationstexte als Beispiele bzw. als «Krü- cke» ein. Inwiefern «Krücke»? Es handelt sich um rhythmische Zusammenfassungen der 14 Vorträge Steiners über «Allgemeine Menschenkunde», die Steiner als Fundament der neuen Pädagogik ansah. Ich habe mir diese rhythmischen (oder wenn man will «mantrischen») Zusammenfassungen vor vielen Jahren für den eigenen Hausgebrauch zur Meditation von Menschenkunde erstellt. (...) Wenn ich jetzt die Texte veröffentliche, so nur, um sie heutigen Kolleginnen und Kollegen als Anregung oder eben als vorläufige «Krücke» zur Verfügung zu stellen. Mehr nicht. Sie gehören zu meiner Wegbeschreibung hinzu.
Die Fülle des Materials und die Weite des ausgebreiteten Spektrums mögen vielleicht abschreckend wirken. Aber man sollte nicht vergessen, dass es sich beim vorliegenden Buch um einen Rückblick auf drei Jahrzehnte Erfahrung handelt. Ich selbst habe auch mit ganz wenig angefangen. Es geht nicht darum, alles zu bewältigen. Das wäre ein Missverständ- nis. Wohl aber kann man das Ganze wie in einem Rundflug überfliegen, um dann zu entscheiden, wo man landen und sich selbst etwas Eigenes aufbauen möchte.
In früheren Jahren wäre ich nie und nimmer auf den Gedan- ken verfallen, über meditative Arbeit zu sprechen und erst recht nicht, über sie zu schreiben. Meine Devise war: Tun – nicht reden. Schreiben wäre mir abwegig vorgekommen. Wenn ich jetzt diese Haltung mit dem vorliegenden Buch durchbreche, so deshalb, weil jüngere Lehrerinnen und Leh- rer heute erfrischend unkompliziert danach fragen: «Wie hast du das konkret gemacht?»
Ein weiteres Missverständnis sollte ebenfalls nicht aufkommen: In der Waldorfwelt gibt es intern ein berühmtes Buch mit dem Titel «Zur inneren Vertiefung der Waldorfpädagogik», oft einfach «Das lila Buch» genannt. Das vorliegende Buch betrachtet sich als Ergänzung, nicht als Ersatz. Es will nichts anderes sein als eine kleine Unterstützung eines großen Impulses.